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O2-Sendeanlage auf dem Hochhaus unendliche Geschichte

Seit Jahren streiten die Stadt Attendorn und der Mobilfunkbetreiber O2 über die auf dem Hochhaus an der Stettiner Straße in Attendorn errichteten Sendeanlagen des Betreibers.

Das Unternehmen hatte die Genehmigung der Anlagen im Oktober 2009 auf einem jahrelangen Klageweg erstritten. Da die Stadt Attendorn letztlich aber nur wegen formaler Fragen im Zusammenhang mit den der Bebauungsplanänderung vorausgegangenen Veränderungssperren beim Verwaltungsgericht in Arnsberg und später beim Oberverwaltungsgericht nicht obsiegte (wir berichteten), blieben viele Rechtsfragen offen, die für die Bauleitplanung des Mobilfunks von grundsätzlicher Bedeutung sind. Mit dem städtischen Mobilfunkkonzept und dem nun im Bebauungsplan festgelegten Ausschluss von Mobilfunkanlagen auf dem Hochhaus im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes haben sich beide Gerichte inhaltlich nicht auseinandergesetzt. Da das OVG Münster den Bebauungsplan somit nicht für unwirksam erklärt hat, bleibt der Ausschluss von Mobilfunksendeanlagen im Bereich des Hochhauses weiterhin in Kraft. Daher wurde auch ein anschließender Genehmigungsantrag der Deutschen Funkturm GmbH abgelehnt; hierüber ist ein Verfahren beim VG Arnsberg anhängig.

Dieser Umstand ist für den Fortgang des Streites von großer Bedeutung. Denn bereits im November 2008 hat die Stadt Attendorn parallel zum beschriebenen Verfahren Klage gegen die Bundesnetzagentur (BNetzA), zuständig u. a. für die Erteilung von Standortbescheinigungen (STOB) für Mobilfunkanlagen, erhoben, weil die erteilte Standortbescheinigung nach Feststellung des von der Stadt beauftragten Sachverständigen Dr. Peter Nießen fehlerhaft ist (hierüber hatte die Presse bereits im August 2008 ausführlich berichtet). Laut Gutachten weist die Standortbescheinigung vom Berechnungsverfahren her gravierende Fehler auf, wodurch die Sicherheitsabstände zu gering berechnet seien.

Sollte das Verwaltungsgericht am Ende dieser Klage stattgeben und die Standortbescheinigung als rechtswidrig aufheben bzw. gar für nichtig erklären, müssten die Anlagen wieder stillgelegt werden. Um dann eine neue Standortbescheinigung erhalten zu können, müsste O2 bauliche Änderungen an den Antennenträgern vornehmen, die allerdings einen neuen Antrag bei der Bauaufsicht des Kreises erforderlich machen würden. Dieser Antrag müsste aber aufgrund des entgegenstehenden rechtskräftigen Bebauungsplanes abgelehnt werden.

Dieser rechtlichen Problematik will man offensichtlich seitens der Bundesnetzagentur aus dem Weg gehen. So stellte die Behörde im Februar 2009 während des laufenden Verfahrens ohne ersichtlichen Grund eine neue Standortbescheinigung aus, allerdings ohne dies dem Gericht oder der klagenden Stadt direkt mitzuteilen. Bekannt wurde der Sachverhalt, als der die Bundesnetzagentur vertretende Rechtsanwalt in einem Schriftsatz darauf pochte, der Klagegrund sei durch das Erlöschen der streitigen Standortbescheinigung entfallen.

Daher war die Stadt Attendorn gezwungen, auch gegen diese neuerliche Standortbescheinigung Widerspruch und anschließend Klage zu erheben. Denn bei der Ausstellung dieser Bescheinigung hat die Bundesnetzagentur alle bisherigen Prüf- und Berechnungsgrundsätze über Bord geworfen und die standortbezogenen Sicherheitsabstände durch Messung ermittelt – ohne aber diese Sicherheitsabstände in der Standortbescheinigung zu benennen. „Dies ist ein einmaliger Vorgang, weil er eindeutig den Regelungen der „Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV)“ widerspricht“, so Gutachter Dr. Nießen, der schon unzählige Standortbescheinigung gesehen und geprüft hat.

Rechtsanwalt Dr. Wolf Herkner, der die Stadt Attendorn seit Jahren vertritt, beanstandet, dass eine Standortbescheinigung ohne tabellarische Sicherheitsabstände nicht mehr ausreichend inhaltlich bestimmt ist, wenn sie statt dessen auf Skizzen und Messungen verweist, die nicht aus sich heraus für Adressaten und Drittbetroffene verständlich und obendrein den Ausfertigungen der Standortbescheinigung gar nicht beigefügt sind. Darüber hinaus entdeckte Dr. Nießen auch bei diesen Messverfahren erhebliche handwerkliche Fehler.  So wurden beispielsweise an solchen Stellen, an denen eine Überlappung der Strahlungskeulen der einzelnen Antennen-Sektoren zu einer Überschreitung der Grenzwerte hätte führen können, überhaupt keine Messungen durchgeführt. Weiterhin wurden die Messungen nur bei der aktuellen Einstellung der Antennen durchgeführt, nicht aber bei den anderen vom Betreiber beantragten Einstellungen. Der Betreiber darf trotzdem auf Basis der erteilten Standortbescheinigung nachträglich die Einstellung der Antennenanlage (und damit die Immissionssituation) erheblich verändern, ohne dass dies in den Messungen der Bundesnetzagentur überprüft worden wäre, auf denen die Standortbescheinigung beruht.

Bevor aber das von der Stadt Attendorn angerufene Verwaltungsgericht über diese erneut fehlerhafte Standortbescheinigung urteilen konnte, hatte die Bundesnetzagentur bereits schon wieder eine neue Standortbescheinigung ausgestellt. Dies kurz nachdem das Gericht die von der BNetzA bezweifelte Klagebefugnis der Stadt Attendorn bestätigt hatte. Aufgrund der erneuten „Ersetzung“ der STOB hat das Gericht inzwischen bei der Stadt angefragt, inwieweit sie bereit ist, dieses zweite Klageverfahren für erledigt zu erklären. Zusätzlich hat die BNetzA über ihre Anwälte „ohne Anerkennung irgendeiner Rechtspflicht im Falle der Erledigung des Rechtsstreites“ eine Kostenübernahme zugesagt. „Dies ist quasi ein Schuldeingeständnis, die BNetzA macht nach meiner Erfahrung keine Geschenke an Rechtsbehelfsführer“, so Rechtsanwalt Dr. Herkner. Da allerdings auch die wiederholt neu ausgestellte  Standortbescheinigung in der dafür vorgesehenen Tabelle ebenfalls keine Sicherheitsabstände ausweist und die messtechnischen Untersuchungen nach Feststellung von Dr. Nießen wiederum gravierend fehlerhaft und unvollständig sind, hat die Stadt Attendorn auch gegen diese Bescheinigung erneut Widerspruch eingelegt.

„Dieses Verhalten der Netzagentur ist abenteuerlich“, so Bürgermeister Wolfgang Hilleke. „Offensichtlich hat es bei dieser Behörde, deren originäre Auftrag es eigentlich ist, die Menschen vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen, Methode, anhängige Anfechtungswidersprüche und Klagen gegen fehlerhafte Bescheinigungen dadurch zu erledigen, dass diese durch neue, aber nicht minder fehlerhafte Standortbescheinigungen ersetzt werden“. Dabei betreibt die Bundesnetzagentur einen beträchtlichen Aufwand, um ihre ursprüngliche Standortbescheinigung nachträgliche zu rechtfertigen. Für die Messungen zur Erteilung der letzten Standortbescheinigung wurde für eine größere Anzahl von Messungen in der Umgebung des Hochhauses eine mobile Arbeitsbühne mit einer Arbeitshöhe von 45 m angemietet sowie zusätzliches Messequipment für länger dauernden mobilen Einsatz angeschafft. Trotzdem ist es der Bundesnetzagentur nach eigener Dokumentation wegen der örtlichen Zugangsmöglichkeiten dabei nicht gelungen, die angestrebten Messpositionen zu erreichen. Noch gravierender ist, dass auch bei diesen neuerlichen Messungen nur eine Einstellung der Antennenanlage vermessen wurde – nicht aber alle vom Betreiber beantragten Einstellungen. Diese zusätzlichen Einstellungsmöglichkeiten der Antennen sind aber dennoch durch die erteilte Bescheinigung abgedeckt, ohne dass allerdings die damit verbundenen Immissionen geprüft worden wären.

Attendorns Stadtoberhaupt Wolfgang Hilleke ist sich sicher, dass dieses dreiste Verhalten auch von dem zuständigen Verwaltungsgericht nicht länger toleriert wird und sich die Netzagentur in absehbarer Zeit wird erklären müssen.

Die Stadt werde jedenfalls nicht müde, die Besorgnisse der Bürger vor Strahlung ernst zu nehmen. Bestärkt fühlt sie sich darin durch ein frisches Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23.11.2010 (Aktenzeichen 1 BV 10.1332). Darin wiederholt das Gericht, dass Mobilfunkanlagen aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes sowie der Gestaltung des Ortsbildes planerisch aus allen Wohngebieten ausgeschlossen werden können. Die Gefährdungen durch die von Mobilfunkbasisstationen herrührende Strahlenbelastung seien nicht dem Bereich der rechtlich irrelevanten Immissionsbefürchtung, sondern dem vorsorgerelevanten Risikoniveau zuzuordnen.

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